Tag 1 - Donnerstag, 7.04.2022

Nach einer Fahrt durch Regen und Sturm und lange Strecken über Land erreiche ich den Hof von Annette und Günter Dißlin in Stemwede-Oppenwehe. Der Regen hat leider große Teile des Willkommens-Schildes abgewaschen und trotzdem fühle ich mich herzlichst empfangen.

Mein Weg führt mich durch die „Deele“ direkt in den ehemaligen Kuhstall, der zu einer traumhaften Satzwerkstatt umgebaut wurde. Ein wahres Setzer-Paradies! So viel Platz für so unglaublich viele Schriftenschränke. Außerdem noch zwei kleine Boston-Tiegel, ein großer Handtiegel, eine Grafix und eine Korrex. Hier lässt es sich sicher ganz fantastisch arbeiten.

 

 

Anette hat lange Zeit als freie Texterin für Agenturen gearbeitet und hat sich nach und nach diese Werkstatt aufgebaut, in der sie vorwiegend Künstlerbücher fertigt. So gibt es neben den vielen Satzarbeitsplätzen auch Platz und Material zum Schneiden von Holz- und Linolschnitten. Die Werkstatt hier in Stemwede-Oppenwehe existiert (erst) seit 2017, vorher war die Familie in Süddeutschland angesiedelt und bis sie ihren Traumort hier in Oppenwehe gefunden haben, musste die Werkstatt, sprich diese Tonnen an Blei und Maschinen, erst noch zweimal umziehen. Was für Kraftakte!

Nach einer Stärkung mit Suppe, Kaffee und Dinkelzopf, zeige ich Anette das grobe Layout meiner Umsetzung des Morgenstern-Gedichtes. 

Es geht zunächst darum, wie das Endprodukt aussehen soll: mit Deckel oder ohne, doppelt gefaltet oder einfach. Das Format muss auf die mögliche Druckgröße und die beste Papiernutzung abgestimmt werden. Wie bei (fast) jedem Projekt muss die gute Balance zwischen Kreativem und Machbarem gefunden werden.

Ich entscheide mich für Papier, Format und Ausführung und wir begeben uns wieder in den „Kuhstall“, um geeignete Schriften auszusuchen.

 

Es ereilt mich dieses Dilemma: „Wer die Wahl hat, hat die Qual“

Es dauert erstmal eine ganze Weile, bis ich alles gesehen habe. Mit jedem Kasten, den ich aus dem Regal ziehe, eröffnen sich immer neue Möglichkeiten und ich entdecke immer neue Schätze. Kurz denke ich darüber nach, mein Gedicht-Projekt komplett zu verwerfen und eine Satzarbeit NUR mit Schmuck zu machen. So viele Schmuckelemente auf einmal habe ich noch nie gesehen. Anette hat so viel davon, weil sie Nachlässe aus Verlagen retten konnte und für die Buchherstellung gab es vieles in großen Mengen.

Dann gibt es da noch Schübe mit sonderbaren Klischees, riesigen Holzbuchstaben und interessanten Buchstabensammelsurien.

Viele Schriften dieser riesigen Auswahl findest du hier:

http://www.bleikloetzle.de/

In der „Deele“ befindet sich eine kleiner Ausstellungs-/Verkaufsraum und dort gibt es Karten mit abgedruckten Alphabeten einzelner Schriften – quasi als Schriftmustersammlung

Das hilft mir bei der Auswahl der Schrift. Zu gerne hätte ich mit der Signum von Georg Trump gearbeitet, weil sie ein so wunderschönes g hat, aber irgendwie habe ich nichts passendes dazu gefunden (obwohl doch die Auswahl so groß ist) und am Ende entscheide ich mich für eine Schrift in zwei Größen.

Eigentlich will ich schon längst in meiner Unterkunft einchecken, aber Anette hat ja nicht NUR die Satzwerkstatt! 

In der großen „Deele“ zeigt mir Anette noch die komplett ausgestattete Buchbinde-Werkstatt und einige ihrer buchbinderischen Arbeiten. Es fällt mir wirklich schwer, mich loszureißen – es gibt ja so viel zu sehen und zu entdecken, aber ich habe ja noch ein paar Tage Zeit. 

So freue ich mich sehr auf morgen und werde heute Nacht von As und Os träumen.

Oder von den wunderbaren Wänden in der „Deele“: es handelt sich bei diesen mit Blüten- und Blättermotiven verzierten Wänden keinesfalls um tapezierte Wände, sondern die Wände wurden in einer Art Stempeltechnik bemalt. Toll!