Tag 2 - Freitag, 8.04.2022

Der heutige Tag wird ein arbeitsreicher Tag. Obwohl es sich ja NUR um ein kleines Leporello handelt, haben wir einen straffen Zeitplan für meine Woche hier in der Werkstatt : wir müssen die Satzformen für den Text herstellen, die Klischees aufbauen, 3 Druckdurchgänge abarbeiten und dann noch alles falzen und verpressen. Außerdem müssen wir den Drucken noch Zeit zum Trocknen geben.

Also, frisch ans Werk!

Zunächst beschäftigen wir uns damit, wie wir am besten die fertigen Druckbögen am Rillgerät rillen können, damit am Ende alles exakt passt.

Während Anette sich mit den Einstellungen der richtigen Maße befasst, beginne ich mit dem Satz. Bei der Suche nach den richtigen Schriftkästen stoße ich nochmals auf einige Schübe mit Schmuck und entdecke noch mehr von diesem tollen Material – so wunderschön!

 

 

In Anettes Werkstatt ist das Ausschlußmaterial wieder in einer anderen Ordnung sortiert als in der hbk-Werkstatt und auch anders als bei Willi in Dachau. Ich muss mich erstmal orientieren, wo ich die passenden Stücke finde, aber zum Glück gibt es eine Übersicht und schnell habe ich mich dort eingefunden, sodaß mir der Satz gut von der Hand geht.

Ich habe mich für die Time Script, 12 Punkt, aus dem Jahr 1956 und die Amati, 24 Punkt, aus dem Jahr 1951 entschieden. Beide Schriften stammen von dem Schriftgestalter Georg Trump. Um es noch ein bisschen schwieriger zu machen, nehme ich am Ende noch die Optima in 8 Punkt von Herrmann Zapf aus dem Jahr 1958 dazu.

Ein Teil des Textes soll aus zwei verschiedenen Schriften gemischt und um 90 Grad gedreht platziert werden. Ich setze erstmal die gesamte Kolumne linksbündig, teile sie dann jedoch wieder auf in zwei Kolumnen aus den einzelnen Schriften, um diese beiden dann später versetzt zueinander platzieren zu können. Dafür muss ich noch eine linksbündig gesetzte Kolumne in eine rechtsbündige umbauen.

 

In der Zwischenzeit beschäftigt sich Anette mit den von mir mitgebrachten Klischees: einige kann sie mithilfe von Magnetfundamenten auf Schrifthöhe bringen, andere werden auf Holzplatten geklebt. Das wird morgen der erste Druckdurchgang sein.

Vorab muss aber noch der Aufzug an der Grafix erneuert werden. Der Aufzug umschließt den Zylinder der Korrex. Er besteht aus einigen Lagen Unterlegpapier und obenauf der Tauen (sehr dünnes aber zähes Papier). Inklusive dem zu bedruckenden Papier muss bei der Grafix der Aufzug eine Dicke von 1,2 mm aufweisen. Um nicht immer wieder die Papierdicken der Unterlegpapiere messen zu müssen, kannst du auch mit kalibrierten Unterlagebögen arbeiten. 

Idealerweise wird der Aufzug an die unterschiedlichen Druckpapiere angepasst. Die Erneuerung des Aufzugs ist auch für das perfekte Druckergebnis sehr wichtig, da mitunter der Tauen durch das Drucken „verprägt“ ist und bei einem späteren Druck eines anderen Motivs an diesen Stellen nicht mehr präzise gedruckt wird.

Nach der Mittagspause besichtigen wir noch die beiden Bostontiegel, die derzeit leider nicht nutzbar sind. Günter erklärt mir, wie solche Tiegel auseinander gebaut werden können, wenn sie für den Transport in einem Stück zu schwer sind. 

Bei einem der Tiegel ist ein Lager ausgeschlagen, für eine Reparatur muss eine Welle erneuert werden. 

Dem großen DIN A4-Tiegel fehlt der Schließrahmen (das ist das Teil, in dem das Druckbild verspannt wird). 

Zum Glück ist Anettes Mann Günter handwerklich und technisch versiert und kann diese beiden Tiegel selbst reparieren, zumal er eine Zeit lang sogar beruflich Druckmaschinen und -pressen umgebaut und repariert hat.

 

Bevor ich mich wieder ans Werk mache, streife ich noch ein wenig durch die Werkstatt. 

Witzig finde ich die vielen Bismarckhering- und Rollmopsgläser mit Ausschlußmaterial. Anette berichtet mir von dem ehemaligen Besitzer dieser Gläser: ein ehemaliger Grafiker, der selbst einen einzigen Schriftenschrank besaß und aus Mangel an Regalen und Fächern für das Blindmaterial es kurzerhand in diese Gläser gefüllt hat. Seine Frau hat das Material nach seinem Tod an Anette vererbt. Die Aufbewahrung in den Gläsern findet Anette eigentlich ganz praktisch und hat das beibehalten.

Ob der Herr Grafiker das Fischige auch alles selbst gegessen hat? Und ob das Material jetzt nach Fisch riecht? 

Morgen werde ich mal daran riechen.