Tag 1 - Montag, 21.02.2022

Nach einem sehr herzlichen Empfang und einem langen Abend mit köstlichem Essen und sehr guten Gesprächen beginne ich heute morgen meinen allerersten Tag der Typoreise in der kleinen aber feinen Werkstatt im Keller von Willi Becks Wohnhaus.

Auf kleinstem Raum hat der dort seine Manufaktur für Handsatz und Buchdruck eingerichtet und ich bin überrascht, wie gut ausgestattet seine Werkstatt trotz des geringen Platzangebotes ist.
Das Herzstück bildet die Grafix – eine kompakte kleine Abziehpresse. Auf ihr druckt er alle seine Karten, Plakate und auch die wunderbaren Kalender, die er in jedem Jahr fertigt und mit denen er schon einige Wettbewerbe gewonnen hat. Gegenüber einige Schriftenschränke und ein sehr schöner Arbeitsplatz für ausgefeilte Satzarbeiten.
Jeder Platz ist ausgenutzt, um all die Schriftenschätze unterzubringen.

 

Ich komme in den Genuß einer wunderbaren Werkschauz.B.:

– ein Kalender von 2021. Gedruckt auf Transparentpapier. Jedes Kalenderblatt steht als einzelnes und alle zusammen ergeben gegen das Licht gehalten ein Gesamtbild
– der Trauerkalender „vom Dunkel zum Licht, von Trauer zur Zuversicht“. Der Start in diesem Kalender ist variabel und behandelt, sozusagen eine ganzes Trauerjahr. Text, Farbe und Ausstanzungen vermitteln eindringlich die Gefühlswelt eines Trauerjahres.
– ein Kalender mit Text und Linolschnitten (gefertigt von der Künstlerin Gisela Griem), gedruckt auf Papier aus der Rinde des Maulbeerbaums mit Deckweiß, Mischweiß, Transparentpapier und Drucklack
– Arbeitsproben mit Buchstaben und Strukturen aus der Natur u.v.m


Ich komme aus dem Staunen nicht heraus und erkenne, dass der Buchdruck in seinen Möglichkeiten weit über das Drucken von Buchstaben hinausgeht.

Im Anschluss beraten wir, was mein Projekt werden soll. Ich entscheide mich für ein Plakat zum Thema Frühling, Frühlingserwachen. Ich selbst und viele meiner Mitmenschen sehnen sich so sehr nach Licht, Wärme, Farbe. Das damit verbundene Lebensgefühl ist allseits groß. Verbunden auch mit dem Wunsch nach Entspannung in der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen.

Wir durchstöbern Schubladen und Schränke, um geeignete Schriften zu finden. Dabei mache ich noch mehr Entdeckungen, zu denen es immer wieder spannende Geschichten gibt oder ich etwas dazulerne: so z.B. sehe ich große Metallbuchstaben, die zum Bedrucken von Trauerkranzschleifen verwendet wurden: die Buchstaben wurden erhitzt und mit Prägefolie ein Druckbild auf die Schleifen aufgebracht. Quasi in groß, was wir vom Prägen auf Hardcoverumschläge beim Buchbinden kennen.
Ich lerne etwas über das Drucken von Linien in Formularen, nämlich, dass diese in zwei Druckdurchgängen gedruckt werden. Erst alle Längslinien und im zweiten Durchgang alle Querlinien. So werden unschöne Linienunterbrechungen vermieden.

Und von Hand gebogene Linotype-Zeilen.

Für meinen Text wähle ich die Schriften Arsis und die lichte Headline. Dazu noch eine Plakatschrift dessen Name nicht bekannt ist und von Willi liebevoll die „Spätzle Grotesk“ getauft wurde.
Ich erstelle ein grobes Layout und setze danach einzelne Blöcke. Davon machen wir einen Korrekturabzug und dabei kommt eine supereinfache und zeitsparende Technik zur Anwendung: wir arbeiten mit Blaupausenpapier, das einfach auf die Buchstaben gelegt wird und auf diese Weise das Druckbild beim Darüberrollen auf das Papier übertragen wird. Das erspart den Aufwand des Einfärbens mit Walze und Farbe und vor allem das anschließende Reinigen!

Der Korrekturabzug dient einerseits zur Feststellung von Fehlern und ästhetisch erforderlichen Korrekturen, andererseits kann ich damit auch einen Klebeumbruch bzw. ein Klebelayout erstellen. Ich schneide, schiebe, klebe und entscheide mich für mein Layout. Nun baue ich meine Texte zu einem ganzen Block zusammen, analog zu diesem Layout.
Willi zeigt mir, wie ich in ganzen Konkordanzschritten arbeite.
Ich muss darauf achten, dass die einzelnen Blöcke jeweils in Höhe und Breite ein Maß bestehend aus ganzen Konkordanzen ergeben (1 Konkordanz = 4 Cicero, 1 Cicero = 12 Punkt). Das hat nicht nur den Vorteil, dass ich die einzelnen Textblöcke passend zueinander aufbauen kann, sondern es erleichtert mir die Arbeit auch ungemein, wenn es im Anschluss noch Änderungen geben sollte (z.B. bei Änderungen im Text oder in Wort- bzw. Buchstabenabständen oder in Zeilenabständen).

So arbeite ich vor mich hin und Willi räumt auf bzw. legt ab. Dabei zeigt er mir immer wieder spannende Sachen: ganz besondere Linien, wie Lücken zwischen Linien mit Wachs gefüllt werden können, wie ich am besten den Satz wieder auf das Schiff schiebe, wie die Buchstabenhöhe ausgemessen und die Buchstaben so unterlegt werden, dass alle mit gleichmäßigem Farbauftrag gedruckt werden, wie ich am besten lange Papierstreifen in die Anlage der Abziehpresse anlege, wie ich lange Plakate drucken kann und so fort …

Nun raucht mir der Kopf vor lauter gewonnenem Wissen und Eindrücken.

Wir machen noch einen Korrekturabzug von dem fertig gebauten Plakat und damit geht ein äußerst eindrucksvoller Werkstatttag für mich zuende.

Morgen wird’s grün.