Tag 1 - Montag, 6.2.2023

Mein Tag beginnt mit der Besichtigung des ganzen Hauses. In der unteren Etage befindet sich eine Setzerei mit mehreren Setzgassen und zwei Andruckpressen. Daneben eine kleine Druckerei mit verschiedenen Tiegeln und einer Zylinderdruckmaschine zum Drucken von kleinen und großen Auflagen, dazu noch zwei kleinere Tiegel in einem Nebenraum. 

Über diesen Räumen befindet sich ein Raum, in dem mehrere Taster der Monotype stehen. An diesen Geräten werden nach Manuskript Lochstreifen erstellt, die später die Bleigießmaschine dazu veranlassen, bestimmte Buchstaben in einer bestimmten Reihenfolge zu gießen. Die Schriftsetzerin Heike Schnotale ist eine der wenigen jungen Menschen, die dieses Gerät bedienen kann. Ein ausgeklügeltes Verfahren, das aber hier zu erklären den Rahmen sprengen würde. Nebenan befinden sich einige Bleigießmaschinen – die zweite Komponente des Monotype-Systems. Hier werden (auch heute noch) einzelne Buchstaben nach Bedarf gegossen. Max Lotze ist hier der (junge) Fachmann.

Ganz oben befinden sich die Räume des Typostudios

https://www.typo-sg.de/

Den unter der Einfahrt geschaffenen Keller kannte ich noch nicht und ich bin zutiefst beeindruckt: etliche Setzschränke in zwei Etagen. Bestände u.a. aus der Offizin Andersen Nexö Leipzig und der Bundesdruckerei. Alles bestens sortiert und beschriftet. Da haben die Mitarbeiter der Offizin wirklich ganze Arbeit geleistet: monatelang Kästen geschleppt und sortiert. Ich ziehe den Hut vor so viel Engagement.

Manche Schriften sind noch originalverpackt, da ist die Zeitung, in die die Schriften eingewickelt sind, ebenfalls historisch.

Zurück in der Setzerei besprechen wir mein Projekt:

Ich möchte in dieser Woche den Text „Desiderata“ umsetzen. 

https://de.wikipedia.org/wiki/Desiderata_%28Gedicht%29

Die erste Idee war, ein kleines Hosentaschenheft zu fertigen. Dafür habe ich den Text in 8 Abschnitte aufgeteilt. Aus der Erfahrung der letzten Walzstationen weiß ich, dass ich mir nicht zu viel für eine Woche vornehmen darf und so planen sollte, dass ich das Projekt auch in der Werkstatt in Braunschweig vollenden kann. Also habe ich meinen Entwurf dahingehend verändert, dass ich einen Aufsteller machen möchte, bei dem der Leser jeweils einen der 8 Abschnitte aufblättern kann und je nach Vorliebe den Abschnitt aufgeschlagen lässt, der gerade am besten passt.

Mein Plan ist, in dieser Woche 8 Blätter zu produzieren, auf denen die Texte der 8 Abschnitte für sich stehend umgesetzt sind.

Im ersten Schritt legen wir die Satzspiegelgröße für die einzelnen Blätter fest und bereiten drei Setzschiffe vor.

Dann habe ich die Qual der Wahl: welche Schriften wähle ich? 

Ich möchte jeweils eine sehr große Schrift verwenden und eine dazu passende kleinere. Zum Auswählen kann ich in der „Typothek“ nachsehen – lose Karten, auf denen jeweils eine Schrift abgedruckt ist. Und ich kann unter den vielen Schriften im Schriftprobenbuch der Offizin Andersen Nexö Leipzig blättern.

Es geht nun wieder herunter in den Keller und wir holen die Buchstaben für die großen Texte: ich entscheide mich für:

  • die Schneidler-Antiqua
    (1937, F.H.Ernst Schneidler,
    Bauersche Gießerei) 
  • die Technotyp dreiviertelfett
    (1949, Herbert Thannhaeuser,
    Schelter & Giesecke) 
  • die Lux
    (1929, Jakob Erbar,
    Ludwig & Mayer) 

und ich nehme noch die 

  • Post-Antiqua halbfett
    (1939, Herbert Post,
    H. Berthold AG)

Vielleicht schaffe ich ja noch einen vierten Text. 

Ich trage nur die benötigten Buchstaben auf einem Setzschiff in die Setzerei – für so wenig Text lohnt sich die Schlepperei der ganzen Kästen nicht. 

Und dann fange ich auch schon mit dem ersten Blatt an. Zunächst einmal muss ich die Buchstaben ausgleichen: die Abstände zwischen den Buchstaben sind nicht gleich. Je nach Aussehen des einzelnen Buchstabens wird mehr oder weniger Abstand benötigt. 

In digitalen Satzprogrammen geschieht dieser Ausgleich automatisch: manche Buchstabenpaare werden mehr aneinandergerückt, manche weiter voneinander entfernt. 

Bei einer Schreibmaschine z.B. geschieht dies nicht: jeder Buchstabe nimmt gleich viel Raum ein, sodass an manchen Stellen unschöne Lücken entstehen. Solche Schriften nennt man Monospace-Schriften

Bei den Bleischriften ist es etwas schwieriger, die Abstände so auszugleichen, dass ein harmonisches Schriftbild entsteht. Zwar sind die Kegel, auf denen das Schriftbild des Buchstabens steht, unterschiedlich (ein „m“ ganz breit, ein „i“ ganz schmal), aber der Kegel ist nun mal da und ich kann die Buchstaben nicht wie im Computer einfach ineinander schieben. 

Dieses Problem habe ich jetzt bei dem Buchstabenpaar k und e in dem Wort „denke“. Dort entsteht ein großer optischer Abstand zwischen dem k und dem e. Diese beiden Buchstaben können nicht näher aneinander gerückt werden. Damit der Abstand nicht größer als bei den übrigen Abständen im Wort wirkt, muss ich zwischen den anderen Buchstaben einen Abstand einfügen, um ein harmonisches Bild zu erlangen. 

Ute lehrt mich sehr viel über die Verwendung des richtigen Blindmaterials, vor allem, wie ich möglichst wenig Teile einsetze. So sind z.B. viele „4 Cicero-Quadraten” nicht quadratisch, sondern rechteckig und wenn ich ein solches nicht mit der 4 Cicero breiten Seite in den Winkelhaken stelle, sondern „auf die Seite lege“, dann habe ich 4 oder 6 Punkt mehr in der Breite. So kann ich eine Lücke von 4 bzw. 6 Punkt füllen und muss dafür nicht ein kleines Stück extra einfügen.

Ich lerne noch, wie ich mithilfe von Stegen einen Anschlag neben meine Kolumne stelle, damit auch gewährleistet ist, dass am Ende alle Texte/Kolumnen die gleiche Höhe aufweisen und ich sie nebeneinander drucken kann.

Und … mein Aha-Erlebnis des Tages: 

bisher habe ich bei solchen Texten immer umständlich alle Höhen zusammengerechnet, um zu wissen, wie viel ich ergänzen muss, damit meine Kolumne eine Höhe in vollen Cicero erreicht. Beispiel: 4 Zeilen á 8 Punkt plus 3 Durchschüsse á 6 Punkt plus eine Zeile á 16 Punkt usw..

Heute habe ich gelernt, dass ich nur die Überschüsse über 12 Punkt/1 Cicero zusammenrechnen muss. Aus dem Ergebnis kann ich dann ableiten, welche Punkthöhe ich zusätzlich auflegen muss, um wieder auf volle Cicero zu kommen.

Beispiel: 3 Durchschüsse á 6 Punkt ergibt 18 Punkt; 12 davon ergeben wieder 1 Cicero, sodaß ich nur 6 Punkt berücksichtigen muss; kommt dann noch eine Zeile in einer Schriftgröße von 14 Punkt dazu (12 Punkt = 1 Cicero, Rest 2 Punkt), ergibt sich eine Ergänzung von 8 Punkt um mit der Kolumne auf volle Cicero zu gelangen.

Wichtig ist dieses systematische Bauen der Kolumnen, um später im Schließrahmen oder im Fundament zügig passende Stege zu finden, mit denen die Kolumne verspannt wird.

Sehr theoretisch für dich als Leser vermute ich. Diejenigen unter euch, die schon ein oder mehrere Male eine Kolumne gesetzt haben, werden es verstehen.

Bleisatz bedeutet viel Rechnen und hat irgendwie auch was von der Logik des Bauens mit Lego-Steinen: 2 Vierer = 1 Achter oder 2 Einer plus 2 Dreier = 1 Achter.

Irgendwie so.

Immerhin habe ich heute schon einen Text fertig gestellt und sogar einen Abzug davon drucken können.

Da ich den Satz für diesen Andruck in der Kolumnenschnur belasse, ist es wichtig, die Schnur gut zu sichern, damit sie sich nicht während des Druckens löst und versehentlich auf der empfindlichen Schrift liegt.

Da der Satz nur mit Magneten fixiert und nicht mit Stegen fest verspannt wird, klopft Ute mit dem Klopfholz an zwei Seiten gegen den Satz, um die Buchstaben richtig fest zusammenzustellen.  

Übrigens: hier in Dresden trägt man die Farbe immer mit der Walze auf das Farbwerk auf, um eventuelle „Partisanen“ also Krümel, die sich in die Schrift drücken könnten, zu vermeiden. 

Ich bin zufrieden mit meinem Andruck, bereite noch etwas für morgen vor und gehe zufrieden und angereichert mit neuem Wissen nach Hause.

Ich freue mich schon sehr auf morgen.